Floete

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Bericht zum 8. Flötenevent
von

Peter Hofer

Lebendige Flötenwelten begegnen sich

Vom 3. bis 5. November 2006 fand in Boswil das 8. Schweizerische Flötenevent der New Flute Generation Switzerland statt. Mehr als zehn etablierte Flötistinnen und Flötisten aus verschiedenen Ländern boten einen grossen Reichtum an Referaten, Workshops, Meisterkursen, Konzerten und Diskussionen. Verschiedene Instrumentenbauer präsentierten neuste Werke.
Im Zentrum stand dieses Jahr nicht die Pädagogik, sondern das Spannungsfeld zwischen jahrhundertealter und topaktueller Flötenmusik.

Mit ihrem hellen Holz und den weissen, sauberen Wänden ermöglicht die Alte Kirche Boswil angenehme Kurstage. In den 60er-Jahren renoviert, empfing sie ihre Besucherinnen und Besucher warm und freundlich. Ebenso freundlich empfingen auch Stefan Keller und Jonas Lindemann, die beiden Organisatoren des 8. Schweizerischen Flötenevents, die Gäste. Einmal mehr war den beiden ein Meisterstück gelungen: Anne La Berge, Robert Dick, Liane Ehlich, Ueli Halder, Carin Levine, Jos Zwaanenburg, Conrad Steinmann, Andreas Kröper, das Duo Rumer-Stoll und die bekannte DRS 2-Moderatorin Eva Oertle, selber Flötistin, wirkten mit. Unglücklicherweise war Hans-Martin Linde verunfallt und lag zur Zeit des Events im Spital. Mit Ueli Halder und dem Flötenduo Rumer-Stoll war jedoch für hochkarätigen Ersatz gesorgt.

Ueli Halder eröffnete das Flötenevent mit einem fesselnden Werkstattgespräch.

Halder

Er ist Sammler historischer Flöten und verfolgt das Ziel, jeden entscheidenden Entwicklungsschritt der Flötengeschichte mit einem Exemplar zu dokumentieren. Die „Schwanenknochenflügelflöte“ aus dem Ende der letzten Eiszeit ist ebenso verblüffend wie die vielen historischen Mundplatten, Kopfstücke und Körperformen: Elfenbein ist problematisch, weil es sich meist spaltet; die Schwedler-Reformflöte ist nicht so einfach zu spielen, und die Bach-Partita auf der in D gestimmten Renaissanceflöte zu spielen, ist zunächst eine Illusion. Ueli Halder erklärte nicht nur Epochen, mechanische Kunstgriffe und Geografie, sondern erlaubte allen Anwesenden, die Instrumente auszuprobieren. Dadurch baute er eine Hemmschwelle ab: Eine alte Flöte ist ein spielbares und ernsthaftes Instrument.
Nicht als Sammler, sondern als Visionär zeigte sich Robert Dick.

Dick

Sein Weg begann mit einem nie ruhenden Unverständnis dafür, dass eine Flöte nur einen Klang auf einmal spielen können soll, und er führte bis hin zum Glissandokopfstück, zur Vierteltonflöte und zu einer grossen Menge Literatur darüber. In Robert Dicks heiteren Referaten fand das Publikum die beiden Konzepte der modernen Vierteltonflöte erklärt und erweitert. Einerseits geht es darum, dass bei jeder Klappe entweder ein kleines oder ein grosses Loch geöffnet werden kann. So ist die Vierteltonreihe gewährleistet. Andererseits,
in Bezug auf Mehrklänge, sollen möglichst alle Klappen ohne gegenseitige Abhängigkeiten (z.B. Mitnehmer) geöffnet und geschlossen werden können. Dies ist Bedingung für Mehrklänge und deren Transponierung über zwölf Halbtonschritte. Darüber hinaus erfuhr das Publikum einiges über Komposition moderner Stücke. Während Robert eine Liste von Personen aufzählt, die für die Entwicklung der Vierteltonflöte verantwortlich sind, präsentiert er das Glissandokopfstück mit den beiden charakteristischen Metallstreifen mit spielerischem Stolz als seine Erfindung.

Die Flöte, ein Kriegsinstrument? Meditieren, Erotik versprühen, Tanzen - ok.

Ehlich

Dass aber die Flöte durchaus ein Kriegsinstrument gewesen war, schilderte Frau Liane Ehlich. Ihr Detailwissen zog das Publikum in Bann. Sie untermalte ihre Schilderungen mit vielen Illustrationen aus Schweizer Chroniken und Bildern und Drucken der übrigen europäischen Renaissance. Ihre Präsentation war ein Auszug der Arbeit an einem aktuellen Forschungsprojekt der Musikhochschule MHS Luzern. Die Zuschauerinnen und Zuschauer waren sich bald einig: Nicht vielen Menschen gelingt es, diese lebendige Nähe zu Renaissanceflöten herzustellen, die Frau Ehlich hat. Mittels Zitaten bringt Sie den Zeitgeist nahe: "Ich bin ein Pfeifer guet- mach die Knecht wolgmuet!" Dies ist eine Bildunterschrift eines Gemäldes um 1550. Zu dieser Zeit waren Pauken und Trompeten in der Kavallerie im Einsatz gewesen, Pfeifen und Trommeln hingegen in der Infanterie. Die „Schweitzerpfeiff“ war die Mutter der eigentlichen Renaissanceflöte, und diese lässt sich lernen, spielen und es lässt sich dazu tanzen. Frau Ehlich bewies dies in ihrem Workshop, indem mehrere Teilnehmende auf Renaissanceflöten ein hübsches Thema spielten. Die anderen Teilnehmenden tanzten dazu Pavanen und Branles. Solche Erlebnissen lassen den Geist früherer Kulturen ahnen – lassen ahnen, was früher Begehrenswert, schön und wichtig erschien, wo unsere Wurzeln liegen und wo der damalige Horizont geendet haben könnte.

Was BlockflötistInnen und QuerflötistInnen voneinander lernen können, erkundete Conrad Steinmann mit seinem Publikum.

Steinmann

Die Themen deckten sich – oder divergierten – vom Vibrato über die Atmung bis zur Haltung und zur Klangerzeugung. An sich ist die Blockflöte ein musikalisch ausserordentlich leistungsfähiges und effizientes Instrument. Sie kann - so konnte live erfahren werden - alles, was die Querflöte auch kann, braucht aber keine Klappen und keine Mechanik. Einzig ihr dynamischer Umfang und die Möglichkeiten der Klangfärbung sind geringer. Conrad Steinmann führte sein Publikum mittels Übungen an wertvolle Grundlagen des Atmens: Einatmen soll nichts kosten; je mehr man ausatmet, desto grösser wird man; Rippenräume können geöffnet werden usw. Dies und weiteres Wertvolles konnte das Publikum mitnehmen. Solches wirkt zu Hause erfahrungsgemäss weiter.

Carin Levine verbreitet jeweils ein Feuerwerk der guten Laune.

Levine

Sie verschafft Teilnehmerinnen und Teilnehmern Zugang zu modernen Techniken: Vom Jet Whistle zum Flüsterton streifte sie Wege der Klangerzeugung. Ihre Art der Atmung ist sehr direkt und sehr öffnend. Sie räumt verschlossene Kehlen, klangraubende Zungen, verspannte Lippen und ich-machs-doch-ganz-richtig-steife Nacken ziemlich schnell beiseite. Carine ist eine der Autorinnen,
die sich die Mühe genommen hat, zwei Kompendien über moderne Spieltechniken zu schreiben. Ein Buch behandelt die Techniken der C-Flöte, ein zweites ist anderen Flöten gewidmet. Sie gehört zu denjenigen, die Angst vor der Musik wirksam abbaut. Ihr abendliches Konzert darf als gelungen und krass bezeichnet werden: „Manic Psychosis“ mit seinem irren, lauten Einatmen gegen Ende des Stückes eröffnete den ZuhörerInnen neue Horizonte.
Nicht ganz so krass, aber ebenso überzeugend führte das Flötenduett Sara Rumer & Stefan Stoll sein Publikum durch zeitgenössische Literatur.

Rumer-Stoll

Sara und Stefan überzeugten durch klangliche und künstlerische Qualität und Präzision. Ihr Auftreten war freundlich, beherzt und dem Publikum zugewandt. Was aber auf einer zweiten Ebene beeindruckte, war ihre Fülle der Kenntnisse über zeitgenössische Flötenliteratur. Sogar eine Liste legten sie dem Publikum bereit, auf dem mehr als 30 Komponisten mit Werk und Verlag aufgeführt sind – ein Leckerbissen für alle, die mit der zeitgenössischen Literatur nicht wissen, wo anfangen und was es überhaupt gibt. Im Gegensatz zum abendlichen Konzert präsentierten die beiden Musiker im Referat Ausschnitte, die sie mit Hintergrundwissen ergänzten.

In Andreas Kröper lernte das Publikum den Ansprechpartner für den Begriff „historische Spielweise“ kennen.

Kroeper

Kröper spaltete für sein Publikum den Begriff in die Fragen „Was heisst historisch?“ und „Wann wird’s hysterisch?“ Es gibt rund um diese Fragen zahlreiche Irrtümer und Ungereimtheiten, und ihre Bearbeitung ist lehrreich und erlaubt, eigene Interpretationen bewusster zu gestalten. Man erfuhr von falschem Respekt vor Komponisten, von kontraproduktiver Normierungsarbeit vergangener Epochen, von problematischem Bestsellerdenken, von zu starker Fixierung auf das historische Instrument, die den Spieler vergisst. Man erfuhr von Forschungslogik und dem Problem, dass mehr Kenntnisse auch mehr offene Fragen bedeuten. In diese komplexen Gebiete streute Kröper mit charmantem Charisma erheiternde Beispiele, etwa dass das Klavier aus dem Film „Amadeus“, das in einer Szene durch die Strasse getragen wird, nicht authentisch ist, oder Kröpers unvergesslicher Versuch, das Aussprechen des Wortes „Teetasse“ so minutiös zu Beschreiben, wie J. J. Quantz das Flötenspiel beschreibt. Das Publikum dankte ihm mit schallendem Gelächter.

Ein besonderer Leckerbissen war die Gesprächsrunde mit allen Referentinnen und Referenten am Sonntag. Die kompetente DRS 2-Moderatorin und Flötistin Eva Oertle eröffnete das Gespräch mit der Frage in die Runde, wo Alt und Neu sich denn konkret berühren. Alle Beteiligten leisteten rege Beiträge und öffneten den Zuhörerinnen und Zuhörern die Augen für den Tiefgang hinter einer musikalischen Darbietung. Frau Oertle hatte bisweilen zwischen den Extremen keine leichte Aufgabe. Robert Dick als Visionär argumentiert in Freiheitsgraden: „Limits? Why? Who has ever benefit from limits?“ Andreas Kröper als präziser, analytischer Denker hingegen verwies auf die Verantwortung gegenüber dem kulturellen Erbe und auf die dadurch geforderte, begründete Korrektheit, soweit möglich. Er war es denn auch, der gegen Ende des Gespräches zwei gegensätzliche Standpunkte herausstrich: Entweder zeigt eine Interpretation die Vorstellungen des Komponisten, wie sie in seiner Zeit gewesen sein dürften, oder sie verwendet eine Komposition als inspirierende Quelle und macht irgendwas daraus, das die Interpretin oder der Interpret toll findet.

Anne La Berge und Jos Zwaanenburg eröffneten die Welt des elektronisch verarbeiteten Flötenklanges.

LaBerge

zwaanenburg

Flötenklang kann schön erweitert, aber auch bis zur hässlichen Unkenntlichkeit verzerrt werden. Präzise, sorgfältig und – so darf man durchaus sagen – liebevoll erklärten beide ihre individuellen Equipments: Mikrofone, Sampler, Mixer, Computerprogramme, Sequenzer usw. Zur Freude des Publikums konnte die teure und umfangreiche Ausrüstung auch gleich auspro-biert werden: Anne und Jos richteten ihre Gerätschaften entweder auf individuelle Wünsche ein oder starteten Konfigurationen des Vorabendkonzertes, damit Leute aus dem Publikum ihre Erfahrungen damit sammeln konnten. Der Bügel des Pickoffs um den Hinterkopf ist ein ungewohntes, schräges Gefühl. Ein gewaltiges Gefühl hingegen ist es, mittels Pedalen neue, vielversprechende Klangwelten zu aktivieren.

Anne La Berge führte zudem ihre Zuhörerinnen und Zuhörer mit verspielter Frische in die Welt von Alexander Murray und Albert Cooper ein, ihre Verdienste und Visionen würdigend. Als ungeübter Flötist eine Murray-Flöte zu probieren ist wie der erste Versuch, sich in einem ganz fremden Land zurecht zu finden. Alexander Murray zeigt überzeugende Wege, eine völlig „kostenlose“ und auf tiefen Impulsen gründende natürliche Haltung mit der Flöte zu finden. Jos Zwaanenburg bot einen spannenden Exkurs in den Einfluss östlicher Techniken auf das heutige Flötenspiel. „Östliche Techniken“ gliedert sich in die Bereiche rhythmische Komplexität sowie Mikrotonalität. Es war fesselnd, wie Jos Zusammenhänge z.B. zwischen südindischer Klassik und einem berühmt gewordenen Frank Zappa Drum Pattern zeigte.

Ausser den Aktivitäten im Plenum trafen sich Teilnehmende in zahlreichen Flötenausstellungen. HändlerInnen und InstrumentenbauerInnen erlaubten, Instrumente zu erfahren und sich Fragen selber zu beantworten. Flötenköpfe in verblüffenden Varianten, Körper in allerlei Gestalten, Traverso-, Tenor-, Bass-, Kontrabassflöten und Piccoli ermöglichten sinnliche Erfahrungen. Speziell exotisch wirkte auf viele die Grenaditteflöte aus dem Hause Gurtner: Schwarzviolett lag sie in den Händen, federleicht, angeblich trotz Temperaturschwankungen in der Intonation sehr stabil bleibend. Ihr Obertonreichtum ist beeindruckend; viele haben von billig-Plastikinstrumenten her ein Vorurteil, das sich beim Spielen jedoch nicht bestätigt.

Kingma Fehr Gurtner

HugMarcandella Kubli

Frau Eva Kingma war von Holland her angereist. Bei den tiefen Vierteltonflöten hat sich das patentierte Kingma-System ernsthaft etabliert. Im Gespräch mit Frau Kingma versteht man ihren spezialisierten Instrumentenbau als aussergewöhnlichen Weg komplexer Entwicklung mit Visionen, Rückschlägen und Abenteuern.

Jeweils abends und mittags genossen alle Teilnehmenden die gemeinsamen Essen. Es wurde gelacht, geplaudert, erzählt, Zettel mit Adressen wanderten in Portemonnaies und gemeinsame Ideen wurden besprochen. Munter erzählte man sich Erlebnisse in den Kursen aus individueller Sicht.

Auch nächstes Jahr werden hoffentlich die hellen, weissen Wände der Kirche Boswil Zeuge eines grossartigen, flötistischen Ereignisses werden, eines Ereignisses mit vielen Menschen, Flöten, Begegnungen, Horizonterweiterungen, Kursen und – Liebe zur Musik. Reservieren Sie sich den 3./4. November 2007!

 

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